Ende November 1845 erhält die Hofburgschauspielerin Christine Enghaus Besuch von einem jungen Dichter namens Friedrich Hebbel, der nach zwei Jahren in der Fremde aus Italien zurückkehrt. Sie kennt seine Dramen Judith und Maria Magdalena und würde nur zu gern die Hauptrollen spielen, aber Metternichs Theaterzensur macht eine Aufführung unmöglich, denn in dem ersten Drama geht es um Sex und Tod, in dem zweiten ist eine unehelich Schwangere die Heldin. Sie bewundert den Dichter, aber fürchtet sich vor dem rigorosen Moralisten und träumt davon, er würde sie in der Gestalt des Meister Anton (des furchterregenden Patriarchen aus Maria Magdalena) verdammen – sie hat selbst einen unehelichen Sohn.
Das Treffen verläuft jedoch anders als gedacht: „Seine hagere Gestalt, die blasse Leidensmiene flößte mir beim ersten Anblick das tiefste Mitleid ein. Meine Furcht war verschwunden.“ Hebbel war es in Italien schlecht ergangen, sowohl in finanzieller, gesundheitlicher, als auch künstlerischer Hinsicht. Das Reisestipendium des dänischen Königs war aufgebraucht und er wird – obwohl er über solche Dinge nie schrieb – manches Mal gehungert haben. Seine einzige Kleidung war ein schwarzer Frack, der ihm nicht passte – ein Freund hatte ihn geliehen –, mit dem er auch vor Christine Enghaus trat. „Ich komme“, schrieb er in einem Brief aus dieser Zeit, „nach Deutschland mit der festen Ueberzeugung zurück, daß ich die literarische Schlacht verloren habe, verloren an Lumpe, nicht an Götter, aber nichtsdestoweniger verloren.“

Was er aber immer noch besaß, war die schier grenzenlose geistige Energie, die er im Gespräch verströmte, wenn er über Kunst und Literatur sprach, und die auch Christine überwältigte: „…nie hatte ich Ähnliches gehört, ich war begeistert. Ich sah nicht mehr die hagere Gestalt, ich sah nur sein blaues Auge, aus dem Funken sprühten, als er sprach.“ Aus dieser Mischung von Mitgefühl und Begeisterung wird bald Liebe, im Mai 1846 heiraten Christine Enghaus und Friedrich Hebbel, und er bleibt in Wien bis zu seinem frühen Tod 1863. Vierzig Jahre später wird Christine, immer noch jene erste Begegnung mit dem verarmten Dichter im Gedächtnis, die Friedrich-Hebbel-Stiftung begründen, um zu helfen, jungen Künstlern und Schriftstellern ein ähnliches Schicksal, wie ihr Mann es durchlitten hatte, zu ersparen.
Friedrich Hebbels Lebensgang und seine Etablierung als Autor sind in der Tat von einer Mühseligkeit und Härte geprägt, die in der gegenwärtigen vielfältig subventionierten Kulturszene kaum noch möglich zu sein scheinen und schon Anfang des 20. Jahrhunderts einer materiell besser gestellten expressionistischen Generation fremd und faszinierend vorkam:
Schlaf brauche ich keinen.
Essen nur so viel, daß ich nicht verrecke!
Unerbittlich ist der Kampf
und die Welt starrt von Schwertspitzen
Jede hungert nach meinem Herzen.
Jede muß ich, Waffenloser,
in meinem Blut zerschmelzen.
So schrieb Gottfried Benn 1913 in dem Gedicht Der junge Hebbel und kleidete damit die Faszination seiner Zeit für Hebbel in poetische Worte.
Christian Friedrich Hebbel wurde am 18. März 1813 in Wesselburen geboren, einem norddeutschen Flecken, „den die Cultur nur in Maculatur-Gestalt berührt“ und in dem die Gesellschaft noch weitgehend ständisch organisiert war – was bedeutet, dass es für den Sohn eines Handwerkers ebenso unmöglich war, Dichter wie König zu werden. Sein Vater war ein Maurer, der von der Wirtschaftskrise der 1820er Jahre schwer gebeutelt wurde, seine Erbitterung an dem Sohn ausließ und ihm damit eine nie heilende Wunde schlug: „…die Armut hatte die Stelle seiner Seele eingenommen.“ In der Elementarschule war er Klassenbester, was ihm eine Anstellung als Schreiber beim Kirchspielvogt Johann Jacob Mohr eintrug. Mohr übertrug dem zuverlässigen jungen Mann bald Aufgaben, die heute einen fertig ausgebildeten Beamten erfordern (z.B. Zwangsversteigerungen, die Hebbel schon mit 18 Jahren leitete), aber etwas für seine Ausbildung zu tun, ihn etwa gar auf eine höhere Schule zu schicken, das fiel ihm nicht ein. Das erklärt auch die bösen Worte, die Hebbel später in seinem Tagebuch für seinen einstigen Vorgesetzten fand.
Erst 1835 fand er in der Hamburger Schriftstellerin Amalia Schoppe eine Sponsorin, die ihm die Tore zur Welt öffnete. Aber mit 22 Jahren war er zu alt, um sich als Gymnasiast am Hamburger Johanneum zurechtzufinden, und viel zu ernsthaft, um das Studentenleben an der Heidelberger Universität genießen zu können. Das Jurastudium gab er bald auf und zog nach München um, wo er den Vornamen Christian für immer ablegte und sich als Dichter und Literat Friedrich Hebbel neu erfand, wovon hunderte von Tagebuchnotizen zeugen. Leben konnte er davon nicht, und so kehrte er als ein Gescheiterter im März 1839 nach Hamburg zurück, in einem zwanzigtägigen Fußmarsch, weil er kein Geld für die Reise hatte. Sein einziger Halt, menschlich und finanziell, ist die Freundin und Geliebte Elise Lensing, mit der er bald eine Goethesche „Gewissensehe“ führen und zwei Kinder haben wird.
In dieser Hamburger Zeit entstehen und erscheinen jene Werke, die ihn in der damaligen Literaturszene bekannt machen, die Dramen Judith und Genoveva sowie ein erster Band Gedichte. Besonders die Judith ist, wegen der krassen Ausdrücke darin, ein Skandalerfolg und wird in Berlin und Hamburg aufgeführt. Aber Geld bringt ihm das nicht ein. Finanziell wieder einmal am Ende, fährt er ohne konkrete Pläne nach Kopenhagen, hat zwei Audienzen beim dänischen König Christian VIII., beginnt an der Maria Magdalena zu schreiben, wird bettlägerig durch rheumatische Schmerzen, die ihn von nun an immer wieder heimsuchen werden, und erhält am Ende doch ein zweijähriges Reisestipendium, das es ihm ermöglicht, nach Paris, Rom und Neapel zu fahren. Die Geldnot fuhr allerdings mit ihm, denn die Hälfte der Summe ließ er bei Elise und ihrem Kind. Mit Sorgen und Zukunftsängsten als ständige Begleiter konnte die Fremde auch nicht zur Inspiration und Lebenswende werden, wie etwa bei Goethe, und außer der Maria Magdalena, die in Paris fertiggestellt wurde, entstanden keine neuen Werke. „Ich habe nicht so viele Aussichten, wie der gemeinste Tagelöhner, denn seine Geschicklichkeiten besitze ich nicht und die meinigen helfen mir zu Nichts“, schrieb er voller Bitterkeit an Elise.
Die anfangs geschilderte Szene in Wien änderte sein Leben radikal, denn Christines Gage als Hofschauspielerin ermöglichte ihm zum ersten Mal ein auskömmliches bürgerliches Leben. Selbst den scheinbar unheilbaren Bruch mit Elise wusste Christine zu heilen, die die Rivalin für ein Jahr nach Wien einlud und ihr die Erziehung ihres unehelichen Sohnes übertrug. In seinem Inneren allerdings war der Kampf für Hebbel noch lange nicht beendet, er drückte sich weiterhin aus in einer tragischen Weltsicht, die auf dem ewigen Konflikt zwischen dem Individuum und dem Ganzen (Gesellschaft, Staat, Universum) beruht und in seinen Dramen in Figuren zum Ausdruck kommen, die mit tragischer Notwendigkeit ihr eigenes Scheitern verursachen oder ihr Selbst nur bewahren können, indem sie bewusst den Tod suchen.
In der Revolution von 1848, die auch das Ende der Theaterzensur bedeutete, wurden Hebbels Stücke endlich gespielt und geradezu als Ausdruck des gelungenen Umsturzes bejubelt. Folgerichtig waren die reaktionären 1850er Jahre Hebbels Dramen ungünstig: Herodes und Mariamne wurde 1849 nur einmal am Wiener Burgtheater aufgeführt (mit Christine in der Rolle der Mariamne), Agnes Bernauer konnte 1852 nur in München Premiere feiern, und Gyges und sein Ring (1855) kam erst ein Vierteljahrhundert nach Hebbels Tod zur Uraufführung. Erst die Nibelungen-Trilogie, an der Hebbel fünf Jahre lang gearbeitet hatte (uraufgeführt 1861 in Weimar, mit Christine als Brunhild im ersten und Kriemhild im zweiten Teil), brachte den lange ersehnten Theater-Erfolg und den Schiller-Preis, mit dem Hebbel als erster Autor überhaupt ausgezeichnet wurde.
„So geht es uns immer“, bemerkte er melancholisch, als ihm die Preisurkunde übergeben wurde, „mal fehlt uns der Wein, mal fehlt uns der Becher!“ Denn genießen konnte Hebbel den Erfolg nicht mehr. Der „Rheumatismus“, der ihn seit seinem 50. Geburtstag plagte, entwickelte sich zur todbringenden Knochenerweichung, eine Spätfolge der langjährigen Mangelernährung. Am 13. Dezember 1863 um fünf Uhr vierzig am Morgen tat Hebbel im Beisein von Frau und Tochter den letzten Atemzug. „Während der ganzen Nacht“, berichtet Biograph Emil Kuh, „tobte ein furchtbarer Orkan über die Stadt hin.“ Ein angemessener Abschied für den größten deutschen Tragiker des 19. Jahrhunderts.
Dem Andenken Friedrich Hebbels widmet sich das Hebbel-Museum in Wesselburen. Auf der Website des Museums findet sich auch eine detaillierte Lebenschronik. Im Museum wird alle zwei Jahre der Hebbel-Preis verliehen.
